Was ist eigentlich genau eine Depression bzw. was steckt hinter der Erkrankung?
Depressivität ist nicht einfach die Steigerung von tiefer Traurigkeit. Die Betroffenen leiden nicht nur unter einer permanent gedrückten Stimmung, sondern vor allem auch unter einer inneren Leere, einem Gefühl der Gefühllosigkeit. Sie leiden daran, kaum oder gar nicht mehr Gefühle wie Freude oder Traurigkeit zu verspüren und erleben sich deshalb als antriebs- und teilnahmslos.
Was bedeutet der (Fach)-Ausdruck bzw. woher kommt er?
"Depression" kommt von Niederdrücken. Das Wort "niedergeschlagen" beschreibt es noch besser. Die ursprüngliche Wortbedeutung hilft das Phänomen besser zu verstehen. "Aggression" beschreibt quasi das Gegenteil. Der berühmte Psychiater Klaus Dörner hat in diesem Zusammenhang vom sich und andere niederschlagenden Menschen gesprochen. Wer seine Wut immer niederschlägt und in sich hineinfrisst, der droht eine krankhafte Niedergeschlagenheit zu entwickeln. Das ist einer der Wege, der in die Depression führt.
Wieviele Menschen sind von der Erkrankung betroffen?
Gemäß der WHO sind weltweit ungefähr 300 Millionen Menschen aller Altersgruppen betroffen. Depressive Störungen gelten mittlerweile als der häufigste Grund für Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Bisher scheinen Frauen häufiger betroffen zu sein, wobei gerade bei Männern wegen der Tabuisierung psychischer Leiden von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Wer ist besonders gefährdet bzw. leidet besonders darunter?
Depressionen können im Rahmen schwerer Lebenskrisen auftreten, insbesondere auch im Zusammenhang mit anderen psychischen oder körperlichen Erkrankungen. Es gibt auch eine genetische Komponente, aber noch entscheidender sind negative Lebenserfahrungen sowohl in der Biographie als auch in der aktuellen Lebenssituation. Besonders gefährdet sind Menschen, die dazu neigen, sich selbst zu überfordern und nicht gelernt haben, mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen gut und sorgsam umzugehen.
Wie kann ich mich davor schützen?
Eine ausgewogene Lebensführung mit liebgewonnenen Rhythmen und Ritualen im privaten und beruflichen Alltag ist sicherlich hilfreich. Nicht mit dem Kopf gedanklich stets überall und nirgends zu sein, sondern körperlich und emotional auch im Hier und Jetzt - insbesondere auch mit Menschen, die einem gut tun - kann ein Schutz sein. Wir Menschen brauchen aber nicht immer nur Entspannung sondern auch spannungsreiche Momente. Gähnende Langeweile kann ebenso depressiv machen wie enervierender Stress.
Wie äußert sich die Erkrankung genau?
Neben der niedergedrückten Stimmung leiden die Betroffenen vor allem unter Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Grübeln und Konzentrationsstörungen. Manchmal steckt auch hinter einer Reihe körperlicher Beschwerden eine unentdeckte Depressivität. Depressive leiden häufig unter einer "Lebensmüdigkeit" im wahrsten Sinne des Wortes und tragen sich manchmal mit konkreten Gedanken daran herum, sich das Leben zu nehmen. Dann ist es höchste Zeit, sich einem Angehörigen und einem Arzt anzuvertrauen.
Wie kann ich selbst testen, ob ich betroffen bin?
Im Netz kursieren viele Selbsttests unterschiedlicher Güte. Auf der Seite www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/selbsttest findet sich ein seriöses Beispiel. Da eher zu selten als zu oft eine Depression entdeckt und diagnostiziert wird und die Patienten ohnehin häufig unter ihrem depressiven Rückzug und Isolation leiden, ist es wichtig, sich gleich beim ersten Verdacht auf eine depressive Entwicklung an einen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten zu wenden. In der Regel haben als erste Ansprechpartner aber auch die Hausärzte eine Kompetenz und ein offenes Ohr dafür, wenn es darum geht, eine Einschätzung zu geben und erste Schritte einzuleiten. Wichtig ist, dass überhaupt jemand Verantwortung übernimmt und den Patienten bei seinen Bemühungen hin zu einer richtigen Behandlung begleitet, auch wenn sich dies aus verschiedenen Gründen zunächst schwierig gestalten mag.
Wie entsteht die Erkrankung?
Wie bei anderen psychischen Erkrankungen entwickelt sich auch eine Depression nicht einfach nur aus einem einzigen Grund. Hier spielen vielmehr genetische, psychische und soziale Aspekte eine Rolle. Diese haben einen Einfluss auf unsere neurobiologische Verfassung. Auf der stofflichen Ebene sehen wir Störungen bei der Übertragung von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin in bestimmten Hirnregionen, die für das Erleben von Affekten eine Rolle spielen.
Was sind besondere Risikofaktoren?
Neben genetischen Risikofaktoren ist für die Entstehung von Depressionen bedeutsam, wie wir mit uns selbst umgehen. Wenn wir uns zu viel Stress zumuten, ohne in unserem Tun einen Sinn zu erkennen, wenn es unseren Bedürfnissen zuwider läuft und wir dazu neigen, unsere Gefühle zu unterdrücken, dann laufen wir eher Gefahr, eine Depression zu entwickeln. Auch negative Gefühle sind wichtig. Wir brauchen die Angst, um uns schützen , die Wut, um uns wehren und die Traurigkeit, um auch Freude verspüren zu können. Sich permanent alles schön und gut zu reden, kann auch in die Depression führen.
Wodurch erhöhe ich das Risiko zusätzlich?
Auch das soziale Umfeld spielt natürlich eine Rolle. Wenn ich von meinem Umfeld in Partnerschaft, Familie und Beruf immer wieder gekränkt werde, leidet mein Selbstbewusstsein darunter. Selbstwertkonflikte, die häufig eine lange Geschichte haben, stehen nicht selten am Anfang einer depressiven Entwicklung. Wer aus Erziehung und persönlicher Veranlagung heraus Selbstwertgefühl ausschließlich aus dem bezieht, was er tut und leistet, kann leicht in eine Erschöpfungsdepression geraten. Insofern hilft der Begriff "Burnout" besonders berufstätigen Männern - die sich offensichtlich eher für psychische Erkrankungen schämen - dabei, sich Hilfe zu holen, da hier der entschuldigende Leistungsgedanke zugunde liegt.
An welchen Arzt kann ich mich mit einer Depression wenden?
Erste Ansprechpartner sind zumeist die Hausärzte, die odtmals über eine psychosomatische Grundkompetenz verfügen. Für eine Diagnostik und Therapieplanung empfiehlt sich aber die Vorstellung bei einem Facharzt, entweder für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder für Psychiatrie und Psychotherapie. Diese Ärzte findet man als Niedergelassene in Praxen oder in Fachambulanzen und Kliniken.
Was kann passieren, wenn ich eine Behandlung zu lange hinauszögere?
Je länger eine Depression unbehandelt bleibt, desto eher droht eine Chronifizierung und desto länger dauert die Behandlung. Das kann gravierende Folgen haben, weil darunter private und berufliche Beziehungen leiden, bis hin zu Scheidung, Arbeitsplatzverlust und Berentung. Je drastischer die negativen Auswirkungen auf des soziale Umfeld sind und je stärker die Isolation, desto größer ist auch die Suizidgefahr.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Leichtgradige Depressionen sollten in der Regel ausschließlich psychotherapeutisch behandelt werden. Bei den meisten Depressiven empfiehlt sich eine Kombination aus Psychotherapie und Psychopharmaka, genauer gesagt Antidepressiva. Bei Depressionen, die nicht auf eine ambulante Behandlung ansprechen, ist eine stationäre Behandlung wie in unserer psychosomatischen Klinik sinnvoll. Im Falle einer akuten Eigengefährdung bedarf es zunächst einer Akutbehandlung in einer psychiatrischen Klinik.
Wie gut sind die Heilungschancen?
Psychotherapeutische Behandlungen und Antidepressiva brauchen Zeit, um zu wirken. Das heißt, dass Betroffenen, Angehörigen und Angehörigen viel Geduld abverlangt wird. In der Regel vergehen mehrere Monate, bis sich eine deutliche Verbesserung einstellt, aber die Heilungschancen sind gut. Wichtig ist es, die ersten schwierigen Schritte zur Behandlung möglichst frühzeitig zu gehen, dann stellen sich auch bald erste Erfolg ein. Der Appetit aufs Leben kommt mit dem aktiven Handeln.
Was kann ich selbst gegen die Erkrankung tun? (z.B. Hausmittel, Sofortmaßnahmen, etc.).
Hausmittel im engeren Sinne gibt es gegen die Depression nicht. Sich körperlich zu betätigen, z.B. mit Sport, und gefühlsmäßig anregen zu lassen, z.B. von Musik, kann helfen, aus dem Grübeln herauszukommen. Aus Studien wissen wir, dass Sport und empathisches Engagement für andere Menschen tatsächlich einen therapeutischen Effekt haben können. Dafür ist allerdings einen Rest an Motivation und Antrieb vonnöten, der bei schweren Depressionen kaum mehr da ist. Insofern ist es besonders wichtig, dem depressiven Rückzugsbedürfnis nicht allzusehr nachzugeben, in der Beziehung zu den Menschen zu bleiben, die einem nahestehen, aber sich von diesen auch nicht einfach nur versorgen zu lassen, sondern sich seine Autonomie bewahren, etwas mit ihnen und für sie zu tun.
Timo Schiele
Leitender Psychologe